Artenschutz durch Habitatmanagement. Der Mythos von der unberührten
Natur. Werner Kunz, 292 Seiten, Wiley-VCH-Verlag, Weinheim, ISBN
978-3-527-34240-2, 58,80 Euro
Vorurteilsfrei und sorgfältig studiert,
kann sein Buch ein ähnlicher Meilenstein und Wendepunkt für den Naturschutz
werden wie Rachel Carsons ‚Stummer Frühling‘. Das schreibt Josef H. Reichholf im
Prolog. Ich habe es vorurteilsfrei und sorgfältig studiert und kann das
bestätigen. Werner Kunz ist in seinem Unruhestand als Biologieprofessor etwas
gelungen, was hoffentlich ein Weckruf wird. Weckruf deshalb, weil Fachleute
längst wissen, dass eine unaufgeräumte Stelle, ein Haufen Bauschutt, Straßen-
und Wegeränder, Kiesgruben, Steinbrüche, Tagebaue, Truppenübungsplätze und
sogar Flugplätze Lebensräume für viele bedrohte Arten sind, aber nur so lange,
wie sie nicht der Natur überlassen, überwuchert oder gar renaturiert werden.
Zum Beispiel gibt es die einzigartige Artenvielfalt der Lüneburger Heide nur
noch, weil sie seit hundert Jahren vor der Natur, also vor Büschen und Bäumen
geschützt wird, Flächen gezielt abgebrannt und mit Maschinen abgeplackt werden.
Neu für mich ist, wie überzeugend Kunz argumentiert, mit welcher Fülle an
Fakten und mit der Rolle der erdgeschichtlichen und historischen Entwicklung.
Nur anstelle des Wortes ‚Habitatmanagement‘
im Titel hätte ich lieber ‚Lebensraumpflege‘
gesehen, damit auch die Fachfremden auf Anhieb verstehen, worum es geht, denn
sie sind die Mehrheit und um die geht es.
Hygiene, Sauberkeit und Ordnung sind
etwas, das der Mensch braucht; aber es ist nicht das, was viele Arten unbedingt
benötigen. Oft ist genau das Gegenteil der Fall. Jede Art ist auf ihren besonderen
Lebensraum angewiesen. Geht dieser besondere Lebensraum verloren, ist auch die
Art verloren. Der moderne Acker ist fast
artenfrei. Er macht einen ‚ordentlichen‘ Eindruck, ist sauber und hygienisch
einwandfrei, in Bezug auf die Arten aber zu einer lebensfeindlichen Wüste
geworden. Das Dilemma vieler Naturschutzvereine ist, dass sie Umwelt, Natur
und Arten gleichzeitig schützen wollen. Artenschutz dient den Arten,
Naturschutz der Natur und Umweltschutz der Umwelt. Alles gleichzeitig geht
nicht und geht auf Kosten der Artenvielfalt.
In Europa sind
alle Lebensräume durch den Menschen geprägt. Er hat den Wald verdrängt, also
die Natur zerstört und für sich offenes Land geschaffen. Doch ungewollt hat er
damit auch vielen Arten Lebensräume (Habitate) geschaffen, die jetzt durch
Verbuschung, Wiederbewaldung, Renaturierung oder Landwirtschaft zerstört
werden. Das vertreibt vor allem Offenlandarten wie Lerchen und Rebhühner. „Viele bedrohte Arten haben sich in Habitate
zurückgezogen, die mit Natur nichts zu tun haben, ja die ihre Existenz
überhaupt nur der Tatsache verdanken, dass in diesen Gebieten die Natur
zerstört worden ist. Logischerweise müssen
Flächen geschaffen werden, auf denen die frühere Naturzerstörung simuliert wird
und dadurch die Habitate für viele gefährdete Arten mit technischen Mitteln wiederhergestellt
werden.
Werner Kunz
beschreibt auch die Grenzen der Artenkenntnis, die der Roten Listen und die
Sonderstellung Europas im Vergleich zu den Tropen. Sein Buch ist ein
hervorragendes Fundament für jeden, der den Artenschutz voranbringen will.
Dr.
Friedrich Buer
20. August 2017