Montag, 21. August 2017

Rezension Artenschutz durch Habitatmanagement



Artenschutz durch Habitatmanagement. Der Mythos von der unberührten Natur. Werner Kunz, 292 Seiten, Wiley-VCH-Verlag, Weinheim, ISBN 978-3-527-34240-2, 58,80 Euro











Vorurteilsfrei und sorgfältig studiert, kann sein Buch ein ähnlicher Meilenstein und Wendepunkt für den Naturschutz werden wie Rachel Carsons Stummer Frühling‘. Das schreibt Josef H. Reichholf im Prolog. Ich habe es vorurteilsfrei und sorgfältig studiert und kann das bestätigen. Werner Kunz ist in seinem Unruhestand als Biologieprofessor etwas gelungen, was hoffentlich ein Weckruf wird. Weckruf deshalb, weil Fachleute längst wissen, dass eine unaufgeräumte Stelle, ein Haufen Bauschutt, Straßen- und Wegeränder, Kiesgruben, Steinbrüche, Tagebaue, Truppenübungsplätze und sogar Flugplätze Lebensräume für viele bedrohte Arten sind, aber nur so lange, wie sie nicht der Natur überlassen, überwuchert oder gar renaturiert werden. Zum Beispiel gibt es die einzigartige Artenvielfalt der Lüneburger Heide nur noch, weil sie seit hundert Jahren vor der Natur, also vor Büschen und Bäumen geschützt wird, Flächen gezielt abgebrannt und mit Maschinen abgeplackt werden. Neu für mich ist, wie überzeugend Kunz argumentiert, mit welcher Fülle an Fakten und mit der Rolle der erdgeschichtlichen und historischen Entwicklung. Nur anstelle des Wortes ‚Habitatmanagement‘ im Titel hätte ich lieber ‚Lebensraumpflege gesehen, damit auch die Fachfremden auf Anhieb verstehen, worum es geht, denn sie sind die Mehrheit und um die geht es.
Hygiene, Sauberkeit und Ordnung sind etwas, das der Mensch braucht; aber es ist nicht das, was viele Arten unbedingt benötigen. Oft ist genau das Gegenteil der Fall. Jede Art ist auf ihren besonderen Lebensraum angewiesen. Geht dieser besondere Lebensraum verloren, ist auch die Art verloren. Der moderne Acker ist fast artenfrei. Er macht einen ‚ordentlichen‘ Eindruck, ist sauber und hygienisch einwandfrei, in Bezug auf die Arten aber zu einer lebensfeindlichen Wüste geworden. Das Dilemma vieler Naturschutzvereine ist, dass sie Umwelt, Natur und Arten gleichzeitig schützen wollen. Artenschutz dient den Arten, Naturschutz der Natur und Umweltschutz der Umwelt. Alles gleichzeitig geht nicht und geht auf Kosten der Artenvielfalt.
In Europa sind alle Lebensräume durch den Menschen geprägt. Er hat den Wald verdrängt, also die Natur zerstört und für sich offenes Land geschaffen. Doch ungewollt hat er damit auch vielen Arten Lebensräume (Habitate) geschaffen, die jetzt durch Verbuschung, Wiederbewaldung, Renaturierung oder Landwirtschaft zerstört werden. Das vertreibt vor allem Offenlandarten wie Lerchen und Rebhühner. „Viele bedrohte Arten haben sich in Habitate zurückgezogen, die mit Natur nichts zu tun haben, ja die ihre Existenz überhaupt nur der Tatsache verdanken, dass in diesen Gebieten die Natur zerstört worden ist. Logischerweise müssen Flächen geschaffen werden, auf denen die frühere Naturzerstörung simuliert wird und dadurch die Habitate für viele gefährdete Arten mit technischen Mitteln wiederhergestellt werden.
Werner Kunz beschreibt auch die Grenzen der Artenkenntnis, die der Roten Listen und die Sonderstellung Europas im Vergleich zu den Tropen. Sein Buch ist ein hervorragendes Fundament für jeden, der den Artenschutz voranbringen will.


Dr. Friedrich Buer                                                                                                          20. August 2017