Mittwoch, 11. Oktober 2017

Die Honigfabrik - Buchrezension









Die Honigfabrik Die Wunderwelt der Bienen – eine Betriebsbesichtigung von
Jürgen Tautz und Diedrich Steen, 2. Auflage, 2017, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017, 269 Seiten, 8 Bildseiten, ISBN 978-3-579-08669-9, Euro 19.99








    



Hier treffen sich Spitzenforschung und alter Imkeradel. Die Autoren sind von Bienen begeistert, ja sie lieben sie und das ist ansteckend. Ihre Portraits auf der Innenseite des Umschlages sagen mehr als tausend Worte. Außerdem verzichten sie auf eitles Denglisch und können anspruchsvolle Wissenschaft verständlich erklären. Selbst das Bändchen als Lesezeichen fehlt nicht. Es gibt noch Verlage, die wissen, was Leser brauchen.
Es geht um die Honigbiene, deren Staat ein Superorganismus ist, der Bien genannt wird. Die Besichtigung des Betriebes hat sechs Kapitel. Sie beginnt mit einem kurzen geschichtlichen Überblick, gefolgt von der Saisonarbeit im Rhythmus der Jahreszeiten, Honig ist nicht alles, aber ohne Honig ist alles nichts, eine Tochterfirma wird gegründet, Betriebsspionage, Raubüberfälle und Aliens aus Asien und endet mit dem Tod der Königinnen. Unter diesen Überschriften finden sich viele solide fundierte Informationen, die nicht nur Imker interessieren. Aus der Fülle einige Beispiele: Die Waben sind perfekt an ihre Aufgabe angepasst und können mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel leisten: Um zwei Kilogramm Honig sicher zu lagern werden nur 30 Gramm Wachs zu Waben verbaut - Ingenieurkunst vom Feinsten. Oder über den effizienten Umgang mit Energie im Winter, den man sich unter  www.hobos.de auch live ansehen kann. Nachdenklich machen Versuche mit Futterquellen auf Tafeln, mit impressionistischen Gemälden von Monet und kubistischen von Picasso im Hintergrund. Sie zeigen, dass Bienen offenbar Malstile erkennen, sie einordnen und sich merken können. Das können wir zwar auch, allerdings ist das Bienengehirn nur stecknadelgroß.
Unsere Obsternten sind zu 80 Prozent von der Bestäubung durch Honigbienen abhängig. Was Wunder, dass das Bienensterben aufschreckt, zumal Hummeln und andere Wildbienen ebenfalls immer seltener werden. Doch die Ursachen sind vielschichtig, wobei die Varoa-Milbe ein Dauerproblem ist, aber auch die rücksichtslose Bestäuberimkerei in Amerika stresst und schwächt die Bienenvölker und macht sie anfällig. Schließlich fehlen dringend notwendige wissenschaftlich gesicherte Kenntnisse über wild lebende Honigbienen, die es in unseren Wäldern kaum noch gibt. Von ihnen lebte einst eine ganze Industrie, die Zeidlerei. Da kann nur mehr Forschung helfen. Ins Philosophische führt am Schluss der Epilog über die Frage, ob Bienen selbstlos sind und in wieweit wir ihre Leistungen mit unseren vergleichen dürfen. Kurz: Die Honigfabrik ist ein vorbildliches Sachbuch.

Dr. Friedrich Buer
Neustadt an der Aisch
9. Oktober 2017









Montag, 21. August 2017

Rezension Artenschutz durch Habitatmanagement



Artenschutz durch Habitatmanagement. Der Mythos von der unberührten Natur. Werner Kunz, 292 Seiten, Wiley-VCH-Verlag, Weinheim, ISBN 978-3-527-34240-2, 58,80 Euro











Vorurteilsfrei und sorgfältig studiert, kann sein Buch ein ähnlicher Meilenstein und Wendepunkt für den Naturschutz werden wie Rachel Carsons Stummer Frühling‘. Das schreibt Josef H. Reichholf im Prolog. Ich habe es vorurteilsfrei und sorgfältig studiert und kann das bestätigen. Werner Kunz ist in seinem Unruhestand als Biologieprofessor etwas gelungen, was hoffentlich ein Weckruf wird. Weckruf deshalb, weil Fachleute längst wissen, dass eine unaufgeräumte Stelle, ein Haufen Bauschutt, Straßen- und Wegeränder, Kiesgruben, Steinbrüche, Tagebaue, Truppenübungsplätze und sogar Flugplätze Lebensräume für viele bedrohte Arten sind, aber nur so lange, wie sie nicht der Natur überlassen, überwuchert oder gar renaturiert werden. Zum Beispiel gibt es die einzigartige Artenvielfalt der Lüneburger Heide nur noch, weil sie seit hundert Jahren vor der Natur, also vor Büschen und Bäumen geschützt wird, Flächen gezielt abgebrannt und mit Maschinen abgeplackt werden. Neu für mich ist, wie überzeugend Kunz argumentiert, mit welcher Fülle an Fakten und mit der Rolle der erdgeschichtlichen und historischen Entwicklung. Nur anstelle des Wortes ‚Habitatmanagement‘ im Titel hätte ich lieber ‚Lebensraumpflege gesehen, damit auch die Fachfremden auf Anhieb verstehen, worum es geht, denn sie sind die Mehrheit und um die geht es.
Hygiene, Sauberkeit und Ordnung sind etwas, das der Mensch braucht; aber es ist nicht das, was viele Arten unbedingt benötigen. Oft ist genau das Gegenteil der Fall. Jede Art ist auf ihren besonderen Lebensraum angewiesen. Geht dieser besondere Lebensraum verloren, ist auch die Art verloren. Der moderne Acker ist fast artenfrei. Er macht einen ‚ordentlichen‘ Eindruck, ist sauber und hygienisch einwandfrei, in Bezug auf die Arten aber zu einer lebensfeindlichen Wüste geworden. Das Dilemma vieler Naturschutzvereine ist, dass sie Umwelt, Natur und Arten gleichzeitig schützen wollen. Artenschutz dient den Arten, Naturschutz der Natur und Umweltschutz der Umwelt. Alles gleichzeitig geht nicht und geht auf Kosten der Artenvielfalt.
In Europa sind alle Lebensräume durch den Menschen geprägt. Er hat den Wald verdrängt, also die Natur zerstört und für sich offenes Land geschaffen. Doch ungewollt hat er damit auch vielen Arten Lebensräume (Habitate) geschaffen, die jetzt durch Verbuschung, Wiederbewaldung, Renaturierung oder Landwirtschaft zerstört werden. Das vertreibt vor allem Offenlandarten wie Lerchen und Rebhühner. „Viele bedrohte Arten haben sich in Habitate zurückgezogen, die mit Natur nichts zu tun haben, ja die ihre Existenz überhaupt nur der Tatsache verdanken, dass in diesen Gebieten die Natur zerstört worden ist. Logischerweise müssen Flächen geschaffen werden, auf denen die frühere Naturzerstörung simuliert wird und dadurch die Habitate für viele gefährdete Arten mit technischen Mitteln wiederhergestellt werden.
Werner Kunz beschreibt auch die Grenzen der Artenkenntnis, die der Roten Listen und die Sonderstellung Europas im Vergleich zu den Tropen. Sein Buch ist ein hervorragendes Fundament für jeden, der den Artenschutz voranbringen will.


Dr. Friedrich Buer                                                                                                          20. August 2017